Antonio Meucci: Der vergessene Telefon-Erfinder (2024)

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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Es gibt Ideen, deren Zeit einfach irgendwann reif ist. Mit der Einführung funktionstüchtiger Telegrafen in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte die Zeit der Telekommunikation begonnen. Schon 1858 wurde die erste transatlantische Verbindung gezogen. In Windeseile entstanden weltweit flächendeckende Netzwerke - das erste Internet, wenn man so will. Was bis dahin Wochen gebraucht hatte, seine Adressaten zu erreichen, kam nun binnen Stunden an.

Der Telegraf war allerdings ein Expertensystem, das nur der nutzen konnte, der die nötigen Codes verstand - man brauchte einen Dienstleister. Dass der Telegraf aber Information in Form von Tönen hörbar machte, regte so einige Tüftler an, den nächsten Schritt zu wagen: Modulierte Töne von A nach B zu übertragen, in Echtzeit, für jeden verständlich.

Als Erfinder des Telefons gilt bis heute meist der nach Amerika ausgewanderte Schotte Alexander Graham Bell. Seine ab 1881 in Umlauf gebrachten amerikanischen Modelle basierten auf einem Patent, das er 1876 einreichte. Wie heutzutage heißt ein Patent aber noch lange nicht, dass dessen Halter wirklich Vater der darin beschriebenen Ideen sein muss. Bells Verdienste um die Verbreitung des Telefons sind völlig unbestritten, seine Urheberschaft aber mehr als zweifelhaft: Bell war nicht der Erste, sondern eher der lachende Vierte - und nicht aus Glück, sondern dank Trickserei und eines mitunter skrupellosen Durchsetzungsvermögens.

Bells Ansatz: ein Versprechen, nicht mehr

Bell, 1847 als Sohn eines wohlhabenden Linguistikprofessors in Edinburgh geboren, war 1870 zunächst nach Kanada übergesiedelt. Der Beruf des Vaters und das fortschreitende Ertauben der Mutter hatten früh sein Interesse an Akustik geweckt; der einsetzende Boom der Elektrizität und des Telegrafen steckten auch den jungen Tüftler an. Mit dem Versprechen, eine Art Multi-Telegraf für Stimmübertragungen entwickeln zu wollen, gewann er potente Geldgeber.

Die Idee war gut, was Bell aber fehlte, war das technische Know-how zur Umsetzung. Das sollte Thomas A. Watson einbringen, ein Mechaniker und Elektrotüftler. Die beiden mussten nicht bei null beginnen.

Denn Bell besaß ein Reis-Telefon, das er aus Europa mitgebracht hatte. Der deutsche Physiker Johann Philipp Reis hatte am 26. Oktober 1861 eine öffentliche Demonstration einer elektrischen Stimmübertragung geschafft. Sein Apparat war von einer Alltagstauglichkeit jedoch noch weit entfernt. Seine Veröffentlichungen aber machten das Thema weltweit publik. Bell erlebte den Reis-Apparat 1862 bei einer Vorführung in Edinburgh und war begeistert. Sein Vater kaufte einen Apparat und setzte für seine Söhne ein Preisgeld aus: Wer dieses Ding verbessern könne, dürfe eine Belohnung erwarten.

Eine Herausforderung mit Folgen. Viel später schlachtete Bell das Reis-Modell aus, einige Funktionsprinzipien sollten in sein Telefon einfließen. Jahrzehnte später sollte es Bell zu einem der reichsten Männer der Vereinigten Staaten machen.

Der Underdog: Der Erste blieb erfolglos

Der Erfolg des Bell-Telefons aber hatte noch einen weiteren Vater. Im April 1850 war der Italiener Antonio Meucci in die USA eingewandert. Er versuchte sich als Erfinder und Industrieller - als Tüftler erfolgreich, als Geschäftsmann nicht. In seinem Haus in Staten Island, New York, gewährte er geflohenen italienischen Widerstandskämpfern Unterschlupf: So lebte der italienische Freiheitsheld Giuseppe Garibaldi zwei Jahre lang unter seinem Dach und arbeitete in Meuccis Kerzenfabrik, die das Geld für seine Tüfteleien lieferte.

Als seine Frau erkrankte, konstruierte Meucci angeblich schon 1856 einen funktionierenden elektrischen Sprechapparat, mit dem er seine Kellerwerkstatt mit dem Schlafzimmer seiner Frau im Obergeschoss verband - damit hätte er, wenn die Zeitangabe stimmt, Reis um fünf Jahre geschlagen. Meucci erkannte nicht sofort, was diese Erfindung für ein Potential hatte. Erst rund vier Jahre später begann er, nach Geldgebern für eine Vermarktung zu suchen - zeitgleich aber ging er als Geschäftsmann bankrott. Meucci wurde zum Almosenempfänger, entwickelte seinen Apparat aber bis 1870 weiter.

Dann schien sich das Blatt zu wenden. Endlich fand er Investoren, verlor sie aber ausgerechnet wieder, als sein Gerät bereit zur Patentierung war. Die 200 Dollar Gebühren konnte er selbst nicht aufbringen. Für 20 Dollar erkaufte er sich eine zweijährige Reservierungsfrist für das Patent. Doch seine wirtschaftliche Situation erlaubte es weiterhin nicht, sein Telefonprojekt allein voranzutreiben. Er wandte sich an das Unternehmen Western Union Telegraph und übergab zur Anschauung Pläne, Patententwürfe und Prototypen. Dann passierte länger nichts.

Als Meucci die Herausgabe seiner Muster verlangte, verweigerte Western Union diese mit der Begründung, der ganze Kram sei verloren worden. Kurz darauf meldete ein anderer ein Telefon zum Patent an, der sich Zugang zu Meuccis Entwürfen verschafft haben soll: Alexander Graham Bell.

Bells erstes Patent: ein Platzhalter

Doch Bell war kein einfacher Plagiator. Sein später patentiertes Telefon beruhte auf Elementen des Reis- und des Meucci-Modells, es kopierte aber weder das eine noch das andere in Gänze. Bell hatte die Ideen anderer in seinem Konzept zusammengeführt. Und das hatte wohl noch einen dritten Vater.

Der hieß Elisha Grey und hatte ein bizarres Patentrennen gegen Bell verloren. Grey hatte ursprünglich ebenfalls für Western Union an eigenen Telefonkonzepten gearbeitet, die er 1876 für patentfähig hielt. Bell bekam davon Wind, ließ in aller Eile einen eigenen Patentantrag zusammenschustern und reichte diesen am gleichen Tag ein wie Grey, um dessen Patent zu verhindern - den Zuschlag für das Prinzip Telefon bekam Bell.

Während Greys Patent aber ein voll funktionstüchtiges Gerät beschrieb, hatte Bells Konzept noch erhebliche Macken. Er soll sie ausgebügelt haben, indem er sich Zugang zu Greys Patentantrag verschaffte und dessen Lösungen in seinen eigenen Apparat einarbeitete - nachgewiesen wurde ihm das jedoch nie. Bells Telefonapparate jedenfalls erlebten in der Folge einen merklichen Qualitätssprung. Die Zeit war reif für die Telefonie.

Und Meucci? Der eigentliche Erfinder des ersten wirklich brauchbaren Telefons versuchte, sein Recht vor Gericht zu erkämpfen. Zehn Jahre prozessierte er, dann wurde der Prozess eingestellt, weil Bells erstes Patent nicht mehr gültig war. Jetzt ging Bell zum Angriff über und verklagte Meucci, der das Ende dieses Hickhacks aber nicht mehr erlebte: Er verstarb 1889 völlig verarmt.

Am Ansehen des Technologie-Heroen Graham Bell mag man in Amerika auch heute noch nicht kratzen. Immerhin aber erkannte der US-Kongress Meuccis Verdienste postum an und ehrte ihn nachträglich. Seit 2002 gilt Meucci als Miterfinder des Bell-Telefons. Seinen Fans ist das zu wenig, den Bell-Anhängern zu viel.

Der Artikel ist ein bearbeiteter Auszug aus "Der viktorianische Vibrator" von Frank Patalong.

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Author: Manual Maggio

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